Wie immer gehe ich morgens auf meinen schönen Balkon hinaus, inspiziere dass der Garten und Zehlendorf noch da sind und atme tief ein (sollte ich bei der schlechten Berlinluft lieber sein lassen) – heute ist die Luft anders. Ich weiss, wonach es riecht – nach HERBST und ich frage mich,“und wo blieb der Sommer bitte schön?!? So schnell vorbei?? so haben wir nicht gewettet..“ aber ok, Zeit in den Keller zu steigen, die Wintersachen zu holen und mit einem schweren, ollen Herzen die Sommersachen einpacken – aber in diesem Jahr vielleicht doch etwas ordentlicher, Frau Stickler?. Tschüs, vielleicht sehen wir uns im nächsten Jahr, wer weiss, wir planen nicht mehr langfristig…“
Es ist Sonntag und die Sonntagruhe liegt wie eine graue Wolke über dem Haus – wobei man nicht den Schluss ziehen sollte, dass hier sonst das Vergnügungs-Epizentrum Berlins läge. Die Luft war draussen heute Morgen herbstlich und der Gedanke daran, dass der Herbst da um der Ecke lauert.. oh nein.. Habe noch keinen richtigen Sommer gehabt, denn Sommer ist für mich, Häuschen auf dem Land, morgens Kaffee auf der sonnenwarmen Steintreppe (ja ja, ich weiss.. die Blase, die Blase..) trinken und langsam wach werden. Habe ja selber Schuld, hätte ja irgendwo hinfahren können, zu meinem Traumstrand auf Sardinien zum Beispiel, aber ich bin zu feige, denn ich weiss, dass ich dann gleich Reisebegleitung dabei habe, nämlich meine tausend Diagnosen und was ist WENN mir da was passiert?!? Mitten in der Walachei? Selber Schuld, wenn Frau kneift.. Aber ich war ja in der Provence und das war wunderschön aber ist ja auch schon so lange her und die Familie die dort lebte, ist jetzt wohlbehalten in Berlin zurück – sie haben die deutschen lebensgefährlichen Autobahnen überlebt, auf denen die Durchschnittsgeschwindigkeit 250 m/h ist und wer langsamer fährt wird mit wildem Hupen und etwas unerlaubten Fingerzeichen bestraft. Aber Gott sei Dank, sie haben es überlebt. Also Herbst – ich bin bewappnet…
Ja darüber habe ich heute nachgedacht, habe nichts vor und der Gedanke daran, dass ich später am Nachmittag eine sehr liebe Freundin treffe und dass KEINE Diskussion darüber entsteht, warum, wann, wie lange, wieso macht mich glücklich aber stimmt deswegen was mit mir nicht? Müsste es mir fehlen, dass jemand sich um mich kümmert, bestimmt, müsste ich schlechtes Gewissen habe weil ich unterwegs bin und ohne den Partner Spass habe? So ähnlich waren meine Ehen in meinem Gedächtnis (aber logo, auf ein Gedächtnis einer 81jährigen Frau kann man sich nicht unbedingt verlassen), ich sass in einem Käfig und musste logischerweise nur WIR und nie ICH denken – (ja ja, ist ja logisch in einer Relation, aber manchmal wird es zu viel und eng da in dem Käfig) und deswegen denke ich darüber nach, ob irgendetwas mit mir nicht stimmt. Ja, ich höre eine Stimme, die „JAA SIEHST DU DAS ENDLICH EIN?“ durch Berlin ruft aber da habe ich nichts anderes erwartet… Ich geniesse es, soziale Kontakte zu treffen, kein schlechtes Gewissen zu haben und ehrlich, das ist doch ein schönes Stück vom Leben, oder?
Ich begleite – ganz freiwillig – hier im Altersheim eine Bewohnerin auf ihrem letzten Weg; das war eine der ersten, die ich hier kennen lernte. Sie hat eine nicht gut ausgehende Diagnose bekommen (es sei denn man glaubt an Wunder..) und ist nur ein Schatten, von dem was sie mal war. Sie ist sehr fordernd, sehr ungeduldig (sogar mehr als ich und das will was heissen), will dies nicht und jenes doch und äussert das sehr, sehr deutlich. Also eine höchst schwierige Person aber im Herzen gut. Sie hat leider eine Diagnose, die sich nicht gut anhört, ist auf die Hälfte abgemagert aber aufgeben? NIEMALS! Sie beschwert sich bei mir wehement darüber dass sie kein Frühstück bekommen hätte – ist ja nicht schön und ich runter zu den organisierenden Ladies. Was? Kein Frühstück? Was?? Sie hat doch vor Tagen den Frühstücksservice abbestellt.. stöhn, seufz, wieder hoch und der Dame dies verklickern. Lahme Antwort: „Ach so“ (nachdem sie voher Haus und Hof und die ganze Welt deswegen verklagen wollte) und schon war der Frühstückskrieg erledigt. Sie sieht Gespenster, dort wo ich keine sehe, und ich bin doch etwas betroffen. Endet das Leben wirklich so? Einsam im Chaos (es darf nichts weggeworfen werden und bei einer Wohnung mit 32 qm kann das ziemlich schrecklich werden)? Gespenster überall? Ich bin für meinen Plan und die neue Gesetzgebung sehr dankbar und hoffe dass alles dann klappt. (Bild Sophie Herken)
In meinem Leben gab es einen Menschen, der mich gerne mit Schuld und Fehler überschüttete. Habe auf alten Tagen a) mich gefragt, warum ich das immer recht brav angenommen habe und b) angefangen Kreuzsticharbeiten zu machen – ja, ja, die Grossmutter sitzt im Schaukelstuhl und stickt, aber es ist sehr beruhigend – und dieses kleine „Werk“ hängt jetzt über meinem Bett und erinnert mich an einiges und macht mich so dankbar dafür, dass ich jetzt nicht immer „Mea culpa“ sagen muss sondern wer der Meinung ist, dass ich ein Idiot bin, soll einfach wegbleiben!
Der Text heisst übersetzt: Zu verschenken: Schuld, Scham und schlechtes Gewissen.
Liebe Angela, heute bin ich mit der Welt wieder im Reinen - es ist heiss und ich geniesse es so…