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Sonntagsruhe im Altersheim

Heute ist Sonntag, die träge Sonntagsruhe wabert über dem Heim. Ich kämpfe mit meinem schlechten Gewissen, ob ich doch noch wenigstens einige Schritte draussen gehe, aber irgendwie ist der Schweinehund doch stärker. Dafür habe ich aber meine Medikamentenboxen für 14 Tage aufgefüllt und dabei gedacht, dass jeder Facharzt auf seinem Gebiet herumwerkelt und bloss nicht über den Zaun schaut, um zu sehen, was der Kollege so macht, aber wie die verschiedenen Medikamente mit anderen, dem Facharzt unbekannten, Pillchens wirken, das weiss der Geier und der Arzt erst recht nicht. Da ich mehrere verschiedene Kampfzonen habe, ergibt sich das und mir fällt ein, dass ich meinen Hausarzt wieder überfallen muss. Irgendjemand muss es doch ein wachsames Auge auf dat Omchen haben, denke ich einfach einfältig..

Ansonsten scheint sich mein Stern hier im Heim im leichen Sinkflug zu befinden. Wir haben einmal im Monat „Küchengespräche“ und dort können wir die beiden netten, neuen und bemühten big Bosse fragen oder auch einfach herummeckern. Meckern tut dort keiner, alle sind überglücklich und wenn man sich mit den einzelnen Ladies unterhält, wird über alles ordentlich hergezogen, aber den Mut, das offiziell vorzubringen, haben sie nicht. Egal was ich dort sage, für meine Verhältnisse äußerst zurückhaltend und wohlüberlegt (ja, diejenigen die mich besser kennen grinsen wohl jetzt, ich um wohlüberlegt..), denn ich sehe die Bemühungen der neuen Chefs und freue mich darüber, dass sie bereit sind Verbesserungen einzuführen, fallen die alten Damen über mich her und protestieren, und das gilt für alles was ich sage und ich bin noch so naiv und sage weiterhin etwas, wieder Sturm der Entrüstung. Mein Gott, bin ich auch so altersmeckerig? Bitte Bescheid sagen!! Vielleicht sollte man die Omas lieber etwas drücken? Was haben die Ladies gegen mich eigentlich? Für meine – normalen – Verhältnisse bin ich hier handzahm, aber muss wohl in deren Augen eine schreckliche RAF-Terroristin sein, die niederzumachen ist – damit Ruhe im Altersheim wieder herrscht.

Mein dicker Bauch

Jetzt weiss ich Bescheid: seit einiger Zeit habe ich einen richtig fetten und ekeligen Bauch und mein Verdacht, dass das Essen hier im Heim der Verursacher ist ,muss ich leider etwas relativieren. Dennoch ist das Essen hier ein Nagel in meinem Sarg. Nein, eins der Pillchen die ich nehme ist der böse Bub und nun kann ich wählen: entweder mit den Pillen aufhören und die Symptome werden schlimmer oder akzeptieren, dass ich wie eine schwangere 80-jährige Oma aussehe. Die schwangere 80-jährige wäre ein Fall für die Bildzeitung.. Gestern hatte ich Besuch von meiner Bonustochter die tatsächlich im 7. Monat schwanger ist und ich musste heimlich immer unsere Bäuche vergleichen und fand dass es – leider – kein grosser Unterschied ist. Als ich vor Corona es schaffte, 16 kg abzunehmen war ich so glücklich! Endlich passte Größe 38 aber meine Freundinnen hatten alle eine Kummerfalte und meinten ich sähe schrecklich abgemagert aus… Fand ich überhaupt nicht sondern fand mich schön und die Freundinnen nicht nett.. Jetzt wo ich ordentlich zugelegt habe und wirklich jede Falte im Gesicht ausfülle, sind die Freundinnen alle zufrieden… hm… eine Erdbeere am Tag soll vielleicht meine zukünftige Kost werden..

Mein Himmelfahrtskommando?

Im Altersheim muss es einen Beirat geben, das ist die so genannte Interessenvertretung der Bewohner. Bis dato scheint es damit nicht so gut geklappt zu haben, der alte Beirat hat wohl das Handtuch geschmissen und ist ab und davon. Also muss einen neuen Beirat gewählt werden. Ich fasse es nicht, aber aus irgendeinem unerklärlichen Grund kandidiere ich dafür. Wir müssen mindestens 8 Leute zusammenkriegen und bei fast 500 Bewohnern ist es etwas peinlich, dass wir mit Mühe und Not und viel Überredung 8 Leute zusammen bekommen haben. Aber vielleicht sind alle einfach glücklich und zufrieden und ich eine alte Meckertante?

Irgend ein wahnsinniger Mensch muss geglaubt haben, dass ich bis 10 zählen kann und schwupps stand ich auf der Kandidatenliste. Nee, ich kneife nicht, ich habe schon einige Punkte die ich sehr gerne durchsetzen möchte aber die erfahrenen Menschen klopfen mir mitleidig auf den Kopf und sagen: „Ja, ja, Sie werden es schon merken“.. d.h. im Klartext, egal was Du durchsetzen möchtest, klappt es nicht denn alle unsere Häuser werden mit eiserner und konservativer Hand gelenkt und hier kann man nicht einfach plötlich Ideen haben die man durchsetzen möchte… Wo kämen wir dann hin??!

Ich habe jedenfalls alle gewarnt: kein Mensch auf der Welt ist so undiplomatisch wie ich und ich kann sehr unsachlich und zickig werden. Oh je, worauf lasse ich mich ein, d.h. vielleicht werde ich eh nicht gewählt und der Frieden kann sich im Haus wieder lagern..

Traubenkirsche

Bei dem schwedischen Name für diesen Baum ist es bei den Schweden wie bei den Pawlowschen Hunden. In der Literatur gab es in Nordschweden einen Schuster, er hing an seiner Tür das Schild „Geschlossen zwischen Traubenkirsche und Flieder“. Ich haste schnell – okey, mit dem Rollator wird nicht gehastet, man rollt vorsichtig wie es für eine alte Dame gehört – zur S-Bahn und plötzliche spüre ich hier in Berlin den Duft der Traubenkirsche, der Baum sieht nicht so besonders aus, kleine weisse Blüten aber der Duft – einfach betörend und in meinem alten
80-jährigen Gehirn rollen unendlich viele alte Sommermomente noch einmal durch. Dass ich noch einen Sommer erleben darf – welch ein Glück – und voll von Erinnerungen und Traubenkirschenduft rolle ich weiter und mir ist egal, dass ich die Bahn verpasse. Dafür habe ich den Sommerduft erlebt.. der Sommer kann komme, ich bin so weit..

Das Leben kommt, das Leben geht..

Im Altersheim lernt man, das Leben pragmatisch zu betrachten, Menschen kommen und Menschen gehen. Die süsse alte kleine Dame am Nebentisch war lange im Krankenhaus – kein gutes Zeichen.. – und nun kann man in dem kleinen Buch, das in der Rezeption zu finden ist, lesen, dass sie verstorben ist. Eigentlich nicht so wunderlich wenn man fast 100 Jahre alt und nicht so topfit ist aber dennoch.. sie sass ja immer dort.. Ok, jetzt ist der Stuhl eine Weile leer aber dann kommt die nächste Kandidatin (wir sind zu 80 % Frauen hier, die Männer mögen sich nicht entscheiden) und wartet darauf, nach oben oder nach unten katapultiert zu werden.

Wir haben ein Infoblatt, das wir einmal im Monat bekommen. Dort sind u.a. die Namen der NEU hinzugezogenen aber diejenigen, die entweder nach oben oder nach unten weiterziehen durften, dürfen absolut nicht genannt werden – sagt der Chef. Vielleicht glaubt er, dass wir in eine allgemeine Depression verfallen aber ich könnte wetten, dass ALLE die hier wohnen, wissen was auf sie wartet – scheinbar nur nicht der Chef..

Ohren?

Ok, also Zeit für die Ohren sich noch etwas mehr aus meinem Kopf zu verabschieden.. Schade, schade.. Hatte vor einiger Zeit ein Bose Wave gebraucht gekauft und ich erinnerte mich an mein FRÜHERES Leben – als wir sowas hatten – und ich die Musik darin berauschend fand. Und nun? Fand dass mein Bose etwas dünn war – tonmässig, ok? – und fuhr in das GROSSE Geschäft und stand dort vor hunderten Geräten und schaute hilflos. Einige sind so entsetzlich hässlich, wobei ich mit mir selbst etwas schimpfen musste, hier sollte ja Tonqualität ausschlaggebend sein, nicht Design, Andere monströs, so dass ich hätte anbauen müssen. Hilfe, wie blöd darf man werden? Wenn man bedenkt dass ich jetzt 80 bin – ist wohl keinem inzwischen entgangen – dann wird das Gerät wohl nicht so wahnsinnig viel Zeit zusammen mit mir haben und die Erben würden sich freuen? Nee, für sie sicher Schrott und unhaltbar schlecht sage ich, die immer noch beharrlich einen PC statt MAC hat (also hier bin ich etwas geizig..). Also einigte ich mich mit meiner inneren Stimme auf so ein Mittelding und nun sitze ich hier und überlege, ob das Gerät wirklich besser ist… Doch, doch, die Hörgeräte funktionieren und sind dort wo sie hingehören aber Du Musik, wo bist Du geblieben?